Entwicklungsfinanzierung und Coronakrise - Zentrale Herausforderungen für G7 und G20 in 2022

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Von Bodo Ellmers

Zum Jahreswechsel hat Deutschland den G7-Vorsitz vom Vereinigten Königreich übernommen, und Indonesien die G20-Präsidentschaft von Italien. Beide Foren stehen vor großen Herausforderungen, die im dritten Jahr andauernde Coronakrise zu bewältigen und einen fairen und nachhaltigen Wiederaufbau zu gestalten. Zentrale Herausforderungen in der Entwicklungsfinanzierung sind der Umgang mit dem wachsenden Risiko von Schuldenkrisen, die faire Verteilung und sinnvolle Nutzung von IWF-Sonderziehungsrechten, sowie die Finanzierung von Impfstoffen und Pandemiereaktionen allgemein.

Die neuen Präsidentschaften

Die G-Prozesse als informelle Politikprozesse sind traditionell stark von Regierungen getrieben, und dort auf Ebene der Staats- und Regierungschef*innen. In Deutschland sind die Sherpas – hohe Regierungsbeamt*innen, die die G-Verhandlungen leiten – traditionell aus dem Bundeskanzleramt. Da der G7-Vorsitz turnusmäßig unter den sieben Mitgliedstaaten rotiert, war der deutsche Vorsitz langfristig vorhersehbar, trat jedoch zum ungünstigen Zeitpunkt des Regierungswechsels an, zum ersten Mal seit 16 Jahren auch inklusive eines Wechsels auf dem Kanzler*innenposten. Erst am 21. Januar hat die neue Bundesregierung eine Agenda für den G7-Prozess vorgelegt. Auch Ort und Zeit des Gipfels und der Treffen der verschiedenen Fachminister*innen wurden erst spät bekanntgegeben. Der Gipfel wird am 26. bis 28. Juni 2022 in Schloss Elmau stattfinden – der Einfachheit halber derselbe Standort wie vor sieben Jahren.

Der Übergang von der italienischen zur indonesischen Präsidentschaft lief klarer. Seit langem ist bekannt, dass der G20-Gipfel auf der touristisch attraktiven und mit guter Infrastruktur versehenen Insel Bali, im Oktober/November 2022 stattfinden wird. Das Motto des Gipfels lautet „Recover Together, Recover Stronger“. Indonesien hat drei Schwerpunktbereiche definiert, nämlich Global Health Architecture, Sustainable Energy Transition und Digital Transformation. Während das keine Finanzthemen per se sind, hat Präsident Joko Widodo bereits bei seiner kurzen Rede auf der Eröffnungszeremonie angedeutet, dass die Umsetzung mittels wirksamer Entwicklungsfinanzierung im Mittelpunkt stehen wird:

“The Indonesian presidency will also be used to strive for the aspirations and needs of developing countries. Indonesia is endeavouring to build a more just world order. Indonesia seeks to strengthen world solidarity in addressing climate change and sustainable development. And raise the commitment of developed countries to assist developing countries.”

Die deutsche G7-Präsidentschaft hat fünf Schwerpunktthemen festgelegt. Darunter sind die vorhersehbaren drei Themen Klima, Gesundheit und wirtschaftliche Erholung bzw. Stabilität. Nummer vier ist das Thema Zukunftsinvestitionen, das auch im Koalitionsvertrag der neuen deutschen Bundesregierung hervorgehoben wurde. Mit dem fünften Bereich zur offenen und demokratischen Gesellschaft soll offensichtlich die G7 als westliche Wertegemeinschaft herausgestellt und abgegrenzt werden.   

Fairer Wiederaufbau

Die diesjährigen Gipfel finden vor dem Hintergrund des ungleichen wirtschaftlichen Wiederaufschwungs nach der Coronakrise statt. Zum Jahresbeginn hat die Weltbank in ihrem Global Economic Prospects Bericht gewarnt, dass die fortgeschrittenen Länder bis 2023 die Wachstumslücke durch den von der Coronakrise verursachten Einbruch wettgemacht haben werden.

In Entwicklungs- und Schwellenländern wird der Output jedoch vier Prozentpunkte unter dem Trend von vor der Krise bleiben. Die Vereinten Nationen hatten schon früher vor einem Auseinanderdriften reicher und armer Länder gewarnt, bedingt vor allem dadurch, dass reiche Länder mehr finanziellen Spielraum haben, die Krise zu bewältigen und den Wiederaufbau zu stimulieren.

Die Fragilität hat allerdings auch in reichen Ländern zugenommen, da die Staatsverschuldung in der Krise rasant gestiegen ist, und seit neuestem auch Inflationsraten seit Jahrzehnten nicht mehr gekannte Höhen erreicht haben. Das Dilemma dabei: Die Inflation müssten Zentralbanken mit Zinserhöhungen bekämpfen, steigende Zinsen würden jedoch die hohen staatlichen Schuldenberge unfinanzierbar machen.

Steigende Zinsen in den USA und Europa würden auch die Auslandsschulden von Entwicklungsländern in Dollar und Euro verteuern, womit reihenweise Zahlungsausfälle drohen. Generell würden sie den Zugang zu Fremdwährungskrediten erschweren, damit die fiskalischen Spielräume armer Länder weiter einengen und den Wiederaufbau dort bremsen. Auch private Investitionen inklusive in Zukunftsinvestition und Transformation werden mit steigendem Zinsniveau teurer und damit tendenziell seltener und weniger.    

Keine leichte Aufgabe also für die diesjährigen G-Präsidentschaften.

Lösung von Schuldenkrisen           

Die Schuldenproblematik stand seit Beginn der Coronakrise auf der Agenda. Im April 2020 hatten die G20 die Debt Service Suspension Initiative (DSSI) beschlossen. Die DSSI erlaubte es, Ländern niedrigen Einkommens ihren Zahlungsdienst auf bilaterale Schulden vorübergehend einzustellen, und die fälligen Raten später nachzuzahlen. Seither wurde die DSSI mehrfach verlängert, lief aber Ende 2021 endgültig aus. In 2022 müssen Entwicklungsländer also wieder deutlich mehr Mittel für den Schuldendienst mobilisieren können. Wie viele das nicht können, und damit in akute Schuldenkrisen abrutschen, bleibt abzuwarten. Selbst bei denen, die es können, gehen die Mittel, die an die Gläubiger fließen, für Pandemiebekämpfung und Wiederaufbau verloren.

Die DSSI hatte ohnehin erhebliche Mängel. Besonders ist es nie gelungen, private und multilaterale Gläubiger einzubinden. Gerade die Kredite bei privaten Gläubigern sind am höchsten verzinst, und damit für die Schuldner am teuersten. Die G20 hatten daher komplementär das Common Framework for Debt Treatments beyond the DSSI verabschiedet, noch im November 2020. Das Common Framework sollte auch Schuldenerlasse möglich machen, und die privaten Gläubiger mit einbeziehen. Mit Äthiopien, Sambia und Tschad hatten sich bald drei Länder für den Prozess beworben.

Mittlerweile hat sich herausgestellt, dass das Common Framework komplett dysfunktional ist. Kein einziges Land konnte den Prozess bislang abschließen. Die optimistische Annahme, private Gläubiger würden sich freiwillig beteiligen, hat sich als Trugschluss erwiesen. Obwohl mehr als die Hälfte der Länder niedrigen Einkommens vom IWF als Länder mit hohem Schuldenkrisenrisiko eingestuft wird, hat sich seit über einem Jahr kein weiteres Land mehr für das wirkungslose Common Framework beworben. Damit ist die Aufgabe, eine wirklich funktionierende Architektur zur Lösung von Schuldenkrisen zu schaffen, weiterhin ein Muss auf der G-Agenda. Dies ist in Anbetracht der Konstellation aus steigenden Zinssätzen und hohen Schuldenständen dringender als je zuvor.

Mehr zum Thema Lösung von Schuldenkrisen: GPF-Briefing „The new debt crisis and what to do about it“     

Verteilung von IWF-Sonderziehungsrechten  

Im August 2021 hat der Internationale Währungsfonds Sonderziehungsrechte im Wert von 650 Milliarden US-Dollar an seine Mitgliedsstaaten ausgeschüttet. Sonderziehungsrechte (SZR) sind eine globale Reservewährung, die entweder von Zentralbanken als Währungsreserven gehalten werden kann und damit Stabilität fördert, oder sie wird in Hartwährungen umgetauscht und damit für fiskalische Zwecke verwendet. Der IWF wollte damit vor allem seine ärmsten Mitglieder stützen, konnte aber wegen seiner Statuten nur gemäß der IWF-Quote  eines Staates ausschütten. Da wirtschaftlich schwache Länder geringere Quoten haben gingen nur drei Prozent der SZR an die Länder niedrigen Einkommens, wo sie dringend gebraucht werden. Mit 43.5% ging fast die Hälfte der Allokation an die G7-Staaten, wo sie nicht gebraucht werden. Seither ist die Umleitung (rechannelling) an arme Länder auf der Agenda.

Auf dem G7-Gipfel in Carbis Bay letztes Jahr haben die G7 das internationale Ziel bestätigt, SZR im Volumen von 100 Milliarden US-Dollar an ärmere Länder umzuleiten. Länder, die keine SZR abgeben wollen, können auch einen äquivalenten Beitrag aus fiskalischen Mitteln leisten. Dies ist ein Passus, der vor allem auf deutschen Druck hin eingefügt wurde, da sich die Bundesbank gegen die Umwidmung sträubt, und die Bundesregierung dem Konflikt mit der Bundesbank bislang ausgewichen ist. Beim letzten G20 Gipfel in Rom wurde die Zusage erneuert. Bis dato wurden SZR im Wert von 45 Milliarden US-Dollar fest zugesagt, darunter von G7 Ländern wie Frankreich, Italien und dem Vereinigten Königreich. Aber auch von G20-Mitgliedern wie China, und EU-Ländern wie Spanien, Belgien und den Niederlanden.

Die deutsche G7-Präsidentschaft steht vor der heiklen Aufgabe, die Implementation der G7-Vereinbarung sicherzustellen, während man selbst bei der Implementierung hinterherhängt. Auch die indonesische Präsidentschaft wird nicht locker lassen, da die bedarfsgerecht Verteilung von SZR an ärmere Länder ein zentrales Thema der (finanziellen) Nord-Süd-Solidarität ist, die Widodo zum Maßstab der indonesischen Präsidentschaft machen will. Auch die Frage, durch welche Kanäle die SZR fließen sollen, wird auf der Agenda stehen. Der IWF hat bereits erste Details einer neuen Fazilität vorgestellt, dem Resilience and Sustainability Trust, in den reiche Länder ungenutzte SZR einzahlen können, um sie für die Finanzierung nachhaltiger Entwicklung im globalen Süden nutzbar zu machen.             

Mehr zum Thema: GPF-Briefing „IWF-Sonderziehungsrechte. Mit historischer Finanzspritze aus der Coronakrise?

Pandemie- und Impfstofffinanzierung

Der ungleiche Zugang zu Impfstoffen – auch als Impfstoff-Apartheid bezeichnet - ist auch in 2022 eine der größten Streitfragen der internationalen Beziehungen. Während einige reiche Länder bereits die zweiten  Boosterimpfungen einleiten, haben in den am wenigsten entwickelten Ländern gerade zehn Prozent der Bevölkerung überhaupt eine Impfdosis erhalten. Versprechungen zu Impfstoffspenden an Länder des globalen Südens wurden wiederholt gebrochen. Technologieführer bei Impfstoffen blockieren weiterhin eine ernsthafte Diskussion in der WTO um die Aufhebung des Patentschutzes, den so genannten TRIPS-Waiver. Deutschland spielt in der Blockadefraktion eine führende Rolle.

Die G20 haben sich auf ihrem Gipfel in Rom zu den WHO-Zielen bekannt, nach denen bis Ende 2021 40 Prozent und bis Mitte 2022 70 Prozent der Weltbevölkerung geimpft sein sollen. Die G20-Gesundheitsminister*innen sind aufgerufen, über den Fortschritt zu berichten. Den Ausbau der Produktion im globalen Süden wollte man fördern, und den Access to COVID-19 Tools (ACT)-Accelerator der WHO und anderer globaler Gesundheitsakteure weiter unterstützen, auch finanziell. Gerade bei der Finanzierung ist mittlerweile die Luft raus. Vom diesjährigen Budget des ACT-Accelerators in Höhe von 23,4 Milliarden US-Dollar, das seit Oktober läuft, waren bis zum 7. Januar nur 0,23 Milliarden finanziert. Die Finanzierungslücke beträgt damit noch 23,2 Milliarden US-Dollar oder 99 Prozent!   

Die G7 hatten sich in Carbis Bay das Ziel gesetzt, die Pandemie in 2022 zu beenden, weltweit. Sie betonten, „the COVID-19 pandemic is not under control anywhere until it is under control everywhere”. Der Ausbau von Produktionskapazitäten im globalen Süden soll dabei genauso eine Rolle spielen wie das Spenden von Impfdosen in großem Umfang.

Spezielle Pandemiefinanzierungsinstrumente wurden zwar diskutiert, aber letztendlich nicht in das G20 Communiqué aufgenommen. Das deutsche Schwerpunktpapier bezieht sich erneut auf die Impfstoffversorgung durch den ACT-Accelerator und den Kapazitätsausbau. Es reflektiert nicht, dass es seit dem letzten Gipfel wenig Fortschritte gab und die Maßnahmen im Ergebnis wenig effektiv waren, was die geringe Impfquote in LDCs beweist. Für Deutschland heikle Themen, wie den TRIPS-Waiver, umschifft das deutsche Papier.

In der globalen Gesundheitsarchitektur will die deutsche G7-Präsidentschaft die leitende Rolle der WHO stärken. Auch eine bessere Finanzierung globaler Gesundheit soll diskutiert werden. Nichtregierungsorganisationen hatten spezielle Pandemiefonds, wie sie zeitweise in den G-Prozessen diskutiert wurden, abgelehnt, da sie die Gesundheitsarchitektur weiter fragmentieren würden. Stattdessen solle die WHO durch mehr Kernfinanzierung gestärkt und somit handlungsfähiger gemacht werden. 

Mehr zum Thema: GPF-Studie „Globale Impfgerechtigkeit“ (In Kürze erscheinend)