2022 Investing in Sustainable Development Report der EU

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Kommentar von Bodo Ellmers
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EU flag
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Ein unfreiwillig ehrlicher Bericht zum Stand der EU-Entwicklungsfinanzierung

Mit einiger Verspätung hat die Europäische Kommission den neuen „Investing in Sustainable Development Report“ veröffentlicht.  Der Report hat vor einigen Jahren den älteren EU Accountability Report bzw. das sogenannte „Monterrey Package“ der EU abgelöst, mit dem ursprünglich die Umsetzung der UN-Abkommen zur Entwicklungsfinanzierung überprüft wurden. Mittlerweile basiert er überwiegend auf Selbstauskünften der EU-Mitgliedsstaaten. Den Charakter einer unabhängigen Evaluierung hat er damit nicht mehr, da der Report eher die Vorzeigeprojekte hervorhebt, anstatt Defizite offenzulegen. Interessante Informationen enthält er trotzdem und gewährt einige wahrscheinlich unfreiwillige Einblicke in Ideologie und Motivationen der Entwicklungsfinanzierung in der EU. Der neue Report umfasst die Periode 2018-2020.    

Viel öffentliches Geld für wenig privates Kapital

In Anbetracht jüngerer EU-Prioritäten nicht überraschend, nimmt die Mobilisierung privater Investitionen einen breiten Raum im Report ein. Schon im Vorwort weist EU-Entwicklungskommissarin Jutta Urpilainen darauf hin, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten mittlerweile (2019) 28 Milliarden Euro für die Unterstützung des Privatsektors ausgeben. Das sind mehr als die Hälfte der 46 Milliarden Euro, die sie insgesamt für die EZ aufbringen.

Was nun in einem eigenen Schwerpunktkapitel folgt, ist allerdings eine affirmative Auflistung von aktiven und geplanten EU-Initiativen in diesem Bereich. Erhofft hatte man sich vom Report eine kritischere Betrachtung ihrer Wirksamkeit. Selbst die OECD hatte jüngst diese Kategorie der Entwicklungszusammenarbeit für ihre Ineffektivität kritisiert, da gerade in den Ländern, die es am dringendsten benötigen würden, trotzdem kaum privates Kapital ankommt.

Stattdessen spekuliert der Report, dass der jüngst gegründete European Fund for Sustainable Development (EFSD) mit einem Fondsvolumen von 1,55 Milliarden Euro bis zu 17,5 Milliarden Euro an privaten Investitionen mobilisieren soll, also etwa um den Faktor 11 hebeln soll. Das erstaunt aus zweierlei Hinsicht: Erstens, warum ein Monitoring-Report für die Periode 2018-2020 überhaupt solche Spekulation für die Zukunft an solch prominenter Stelle anstellt.

Zweitens, warum der EFSD um das Vielfache effektiver sein soll als vergleichbare Instrumente, deren Hebelrate laut unabhängigen Untersuchungen her weit niedriger lag, nämlich beim Faktor 0,75, also bei weniger als einem Euro privatem Kapital pro investiertem Euro öffentlichen Geldes. Ein solcher Fehlstart stellt die Glaubwürdigkeit des ganzen Reports als Rechenschaftsbericht infrage und gibt ihm vielmehr den Charakter einer PR-Broschüre für umstrittene EU-Initiativen.  

Offensichtlich geht es der Kommission darum, eine positive Stimmung für den Ansatz der privaten Agenda 2030-Finanzierung zu schaffen – daher die Wahl von „Sustainable Finance“ als Schwerpunktthema des Reports. Lesende lernen dabei, dass die EU eine umfassende Strategie für die Verbreitung von „Sustainable Finance“ in Ländern niedrigen und mittleren Einkommens entwerfen will. Eine neue hochrangige Expert*innengruppe soll die Kommission dabei beraten, wie man die SDGs in bankfähige Projekte verpacken könne, um sie anschließend privaten Investor*innen anzubieten. Auch Instrumente wie „grüne Anleihen“ sollen dabei stärker zum Einsatz kommen.

ODA – Stagnation bei Quantität, Rückschritte bei Qualität

Interessanterweise nimmt der Report dort stärker den Charakter eines Rechenschaftsberichts an, wo es um die öffentliche Entwicklungsfinanzierung im engeren Sinne geht. Der Bericht hebt zwar hervor, dass die EU kollektiv für fast die Hälfte der globalen ODA steht und vier Mitglieder das 0.7%-Ziel erreicht haben, macht aber auch klar, dass man mit einer Quote von 0,5 % noch weit von den internationalen und auch den selbst gesetzten Zielen entfernt ist. 

Was ODA an die am wenigsten entwickelten Länder (LDCs) angeht, hat man sich 2019 mit einer Quote von 0,10 % sogar wieder vom 0.15%-0,20%-Ziel entfernt. Eine tiefere Analyse der Ursachen wäre hier wünschenswert gewesen. Denn natürlich gab es hierfür Ursachen, etwa die Instrumentalisierung der ODA zur Migrationsabwehr durch EU-Nachbarstaaten in jüngeren Jahren. Neuere Absichten, ODA-Mittel auch geostrategisch im Konflikt mit Russland einzusetzen, könnten eine weitere Abkehr von LDCs bedeuten.  

Eine nützliche Übersicht zu Finanzierungslücken befindet sich aus Seite 114 des Reports. Hier wird aufgezeigt, wie weit die EU und die einzelnen Mitglieder vom 0,7 %-Ziel, bzw. vom 0,33 %-Ziel für die Mitglieder aus Mittel- und Osteuropa, entfernt sind. Kollektiv beträgt das Defizit zum 0,7%-Ziel mehr als 26 Milliarden Euro jährlich. 

Auch bei wichtigen Wirkungsindikatoren macht die Entwicklungszusammenarbeit der EU derzeit Rückschritte. Explizit genannt werden hier zum Beispiel Vorhersehbarkeit, Transparenz der Beteiligung von Partnerregierungen in Evaluation sowie der Evaluation anhand von Indikatoren der Partner. Vielleicht ist der zunehmende Fokus auf Privatsektorförderung und die Verwendung immer komplexerer Garantie- und Subventionsinstrumente daran nicht ganz unschuldig.

Auch nicht unerheblich. Laut dem Bericht geben die EU und ihre Mitglieder jährlich weniger als eine Milliarde Euro dafür aus, um die Mobilisierung einheimischer Ressourcen zu fördern und öffentliche Finanzverwaltungen zu stärken. Das sind weniger als 4 % der Ressourcen, die sie in Privatsektorentwicklung stecken.

Mobilisierung einheimischer Ressourcen

Der Report konstatiert, dass die Steuereinnahmen der Entwicklungsländer selbst trotzdem eine Finanzierungsquelle sind, die ODA überall in den Schatten stellt. Bei Ländern niedrigen Einkommens stehen Steuereinnahmen von 10,8 Prozent des BNE offiziellen ODA-Zuflüssen von 8,9 Prozent gegenüber. Bei Ländern mit hohem mittlerem Einkommen (UMICs) sind es 17,3 Prozent Steuern gegenüber nur 0,1 Prozent ODA.

Von gehöriger Naivität geprägt ist der Report, wo er behauptet, die schwarze Liste der EU zu sogenannten Steueroasen wäre der Entwicklungsfinanzierung dienlich und würde Good Governance im Steuerbereich fördern. Ungewollt ehrlich ist der Report, wenn er auf Seite 18 sagt: „Der Prozess der Erstellung einer EU-Liste der nicht kooperativen Steuergebiete hat mehrere Entwicklungsländer dazu veranlasst, internationalen Foren wie dem Global Forum on Transparency und Informationsaustausch für Steuerzwecke und dem BEPS Inclusive Framework beizutreten …“.

Von Seiten der Entwicklungsländer sowie NRO wurde wieder und wieder kritisiert, dass die Steuerabkommen des von der OECD koordinierten BEPS Inclusive Framework nicht den Interessen und den Bedürfnissen der Entwicklungsländer entsprechen. Auch der Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen hat das im April 2022 noch einmal klargestellt: Die BEPS-Abkommen erschweren die Besteuerung von transnationalen Konzernen seitens der Entwicklungsländer, statt sie zu fördern. Sie verteilen Besteuerungsrechte zuungunsten des Globalen Südens und verbieten den Einsatz von Digitalsteuern, womit betroffenen Ländern eine wichtige und potenziell stark wachsende Einnahmequelle verloren geht.

OECD und EU verbuchen dagegen als Erfolg, dass das jüngste BEPS-Abkommen von 137 Ländern verabschiedet wurde. Der EU-Bericht bestätigt nun von offizieller Seite, was CSOs immer betont haben: Dass Entwicklungsländer nur deshalb dem Inclusive Framework und seinen Abkommen beigetreten sind, weil sie fürchten, ansonsten mit Sanktionen bestraft zu werden.

Damit legt der EU-Bericht ungewollt dar, was viele schon wissen. Bei Fragen der Politikkohärenz läuft bei der EU und ihren Mitgliedsstaaten weiterhin zu vieles schief. Da hilft auch eine überdurchschnittliche Performance bei der ODA nicht viel. Die nächste Ausgabe des Reports könnte noch mehr dieser Zusammenhänge offenlegen.