Profite im Namen der Gerechtigkeit - Die Pharmalobby in den Verhandlungen über ein globales Pandemieabkommen

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Von Jens Martens und Maike Salzmann

Die offiziellen Verhandlungen über ein globales Pandemieabkommen gehen in die Verlängerung. Nachdem die eigentlich letzte Verhandlungsrunde am 28. März 2024 ohne Ergebnis endete, findet vom 29. April bis zum 10. Mai 2024 in Genf ein weiterer Verhandlungsmarathon statt. Ende Mai soll der finale Text auf der 77. Weltgesundheitsversammlung verabschiedet werden. Allerdings sieht es derzeit nicht so aus, als könne eine konsensuale Einigung erzielt werden. Besonders in Fragen des gerechten Vorteilsausgleichs und des Patentschutzes scheinen die Positionen unvereinbar. Vor allem die EU und die USA beharren auf dem Patentschutz und einem freiwilligen Vorteilsausgleich, während die Länder des Globalen Südens sich dafür stark machen, im Falle einer Pandemie den Patentschutz für relevante Impfstoffe, Medikamente, Diagnostika und medizinische Geräte vorübergehend aufzuheben (TRIPS Waiver). Außerdem plädieren sie für ein verbindliches System des Vorteilsausgleichs, das den gerechten Zugang zu pandemiebezogenen Produkten gewährleistet. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach warnte bereits beim World Health Summit 2023 davor, mit dem Pandemieabkommen Patentrechte einschränken zu wollen. Dieses Vorhaben sei wenig erfolgversprechend, so Lauterbach.

In den Positionen von EU und USA spiegeln sich deutlich die Forderungen der Pharmaindustrie wider. Deren Interessen werden bei den Verhandlungen über das Pandemieabkommen insbesondere von der International Federation of Pharmaceutical Manufacturers and Associations (IFPMA) vertreten. In ihr sind über 90 Pharmaunternehmen und -verbände zusammengeschlossen, darunter aus Deutschland u.a. Bayer, Boehringer Ingelheim, Grünenthal, Merck und der Verband Forschender Arzneimittelhersteller (vfa). Mit Sitz in Genf und „offiziellen Beziehungen“ zu den Vereinten Nationen hat die IFPMA einen potentiell großen Einfluss auf die aktuellen Verhandlungen über das Pandemieabkommen.

IFPMA hat im Laufe der Verhandlungen regelmäßig Statements veröffentlicht und Veranstaltungen organisiert. Im Oktober 2023 kritisierte IFPMA in scharfen Worten den damaligen Abkommensentwurf. Ihr Generaldirektor Thomas Cueni stellte fest

„Die Fähigkeit des privaten Sektors, neue Impfstoffe und Behandlungen als Reaktion auf COVID-19 zu entwickeln, wurde durch jahrzehntelange F&E-Investitionen vorangetrieben, die durch den Rahmen für geistiges Eigentum und die Fähigkeit der Wissenschaftler, schnell auf Daten über Krankheitserreger zuzugreifen, unterstützt wurden. Sollte der Vertragsentwurf angenommen werden, würde er beides untergraben und uns vor der nächsten Pandemie schwächer dastehen lassen als im Dezember 2019, und wir fordern die Regierungen dringend auf, den aktuellen Text erheblich zu überarbeiten.“ (eigene Übersetzung) 

Berliner Erklärung der Pharmalobby

Als Gegenkonzept propagiert IFPMA die Berliner Erklärung, mit der die biopharmazeutische Industrie im Juli 2022 ihre Vision für einen gerechten Zugang im Falle von Pandemien präsentierte. Darin erklärt sie sich bereit, die Versorgung mit Pandemieimpfstoffen, -behandlungen und -diagnostika bei künftigen Pandemien so früh wie möglich für diejenigen zu gewährleisten, die sie am dringendsten benötigen. Voraussetzung wäre allerdings, dass die Länder in ausreichendem Umfang Finanzmittel bereitstellten, Handels- und Exportbeschränkungen entlang der gesamten Lieferkette verhinderten, Patentrechte respektierten, da diese Innovationen förderten, und den sofortigen und ungehinderten Austausch von neu auftretenden Krankheitserregern und den dazugehörigen Daten garantierten. 

Die internationale Kampagne für ein People’s Vaccine hat die Berliner Erklärung einem Faktencheck unterzogen, der ihre wesentlichen Aussagen in einem anderen Licht erscheinen lässt. So sei die Behauptung schlicht nicht wahr, dass die Pharmaindustrie allein für die Herstellung sicherer und wirksamer COVID-19-Impfstoffe und Medikamente verantwortlich sei. Jahrzehntelange öffentlich finanzierte Forschung war die Grundlage, die es den Pharmaunternehmen erst ermöglichte, Impfstoffe und Medikamente zu entwickeln und dadurch massive Gewinne zu erzielen. Auch das Argument, dass der Patentschutz unabdingbar sei, um Innovationen zu fördern, sei falsch. The People’s Vaccine verweisen auf Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz und andere, die argumentieren, dass das TRIPS-System unverhältnismäßig stark von "Sonderinteressen" geprägt wurde, schlecht konzipiert sei und Innovationen eher erschwere. Das derzeitige System würde die rechtzeitige Offenlegung von Informationen über neue Innovationen behindern und damit auch die Fähigkeit anderer Forscher*innen, ihre zukünftigen Innovationen auf diesem Wissen aufzubauen. Die People’s Vaccine-Kampagne kritisiert darüber hinaus, dass die Berliner Erklärung zwar den sofortigen und ungehinderten Austausch von neu auftretenden Krankheitserregern und den dazugehörigen Daten fordert, es aber versäumt, dies mit Maßnahmen für einen fairen und gerechten Vorteilsausgleich zu verbinden. Die Länder des Globalen Südens sollten somit weiterhin Informationen über das genetische Material von Viren kostenlos zur Verfügung stellen, um die Forschung und Entwicklung neuer Medikamente zu unterstützen, müssten dann aber die daraus resultierenden Produkte, z. B. Impfstoffe, von den Pharmaunternehmen zu hohen Preisen kaufen.

Zunehmender Druck auf die Verhandlungen

Im Laufe der Verhandlungsrunden des Pandemievertrags veröffentlichte IFPMA immer wieder Statements, die die Forderungen der Berliner Erklärung aufgriffen. Besonders in den Monaten Februar und März 2024, rund um die entscheidenden Verhandlungsrunden (INB8 und INB9), verdichteten sich die Stellungsnahmen. So wurden im Februar 2024 fünf Prioritäten für den zukünftigen Umgang mit Pandemien und ein Kommentar zur INB8 formuliert. Im März wurde neben den Stellungsnahmen zu INB9 und der siebten Verhandlungsrunde der Änderungen der Internationalen Gesundheitsvorschriften (welche parallel zu den Verhandlungen des Pandemievertrags läuft), auch ein ausführlicheres Dokument zu den Verpflichtungen, welche die Pharmaindustrie eingehen würde, sollten ihre Forderungen erhört werden, veröffentlicht. Zuletzt meldeten sich Verantwortliche auch mündlich zu Wort. Während der Eröffnungssitzung der 9. Verhandlungsrunde sprach Diana Lee, stellvertretende Direktorin des IFPMA. Bei einem Pressebriefing für akkreditierte Journalist*innen sprach Thomas Cueni, Generaldirektor der IFPMA, persönlich.

Die Forderungen aus der Berliner Erklärung blieben zwar über die verschiedenen Statements hinweg gleich, der Fokus verschob sich jedoch stark hin zu dem Thema Pathogen Access and Benefit Sharing (PABS; dt: Zugang zu Krankheitserregern und Vorteilsausgleich). Während geistige Eigentumsrechte, Handelsbeschränkungen, und die Stärkung von Gesundheits- und Forschungssystemen in den neueren Statements oft nur am Rande erwähnt werden, plädiert IFPMA vor allem für die Entkopplung des Zugangs zu Krankheitserregern von der Verpflichtung zum Vorteilsausgleich als dem wirksamsten Weg, um Innovation und gerechten Zugang zu fördern.

Gleichzeitig betont IFPMA immer wieder die Zusage, im Gegenzug Produkte für diejenigen bereitzustellen, welche sie am dringendsten benötigen. Genau zu diesem Aspekt veröffentlichte der Pharmaverband am 11. März 2024 eine ausführliche Erklärung. Auf den ersten Blick scheint es tatsächlich so, als ob er darin seine solidarische Ader entdeckt hätte und gerechten Zugang über Profite stellte. Allerdings trügt dieser Schein. Phrasen wie „legally binding and enforceable through contracts“ und „geographically diverse” werden geschickt eingesetzt, um den Eindruck zu vermitteln, man stünde voll und ganz hinter dem Ziel equity. Tatsächlich basieren jedoch alle commitments auf Freiwilligkeit. IFPMA schreibt:

„Building on the commitment contained in the Berlin Declaration, we support that the pandemic agreement creates a broad multistakeholder Partnership for Equitable Access to which companies can voluntarily associate through their adoption of a range of Equitable Access Commitments, which would be legally binding and enforceable through contracts.”

Darauf folgt eine Auflistung der freiwilligen Verpflichtungen, welche die Pharmaindustrie sich vorstellen könnte. Darunter die Entwicklung neuer Technologien, finanzielle Unterstützung für Länder mit geringem Einkommen, sowie schnelle Ausweitung der Produktion und freiwillige Technologietransfers im Falle einer Pandemie. Abschließend werden noch einmal vier „enabler“, also Forderungen genannt. Neu ist hierbei die Einbeziehung der Pharmaindustrie in zukünftige Governance-Strukturen rund um das Pandemieabkommen.

In seinem Statement bei INB9 am 21. März 2024 unterstrich Thomas Cueni die Forderung, die Pharmaindustrie in die Entscheidungsstrukturen des PABS-Systems einzubeziehen:

“Governance of the PABS system needs to be inclusive, with WHO having a central role as part of a broader partnership of Member States and stakeholders, including industry.”

Dass er im selben Statement konziliant erklärte, der Vorschlag der EU enthalte einige praktische und realistische Elemente, mit denen man arbeiten könne, ist eher besorgniserregend.

Wenn der EU an einem erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen über das Pandemieabkommen gelegen ist, wäre sie gut beraten, eher auf die Interessen der Länder des Globalen Südens einzugehen, als auf den Zuspruch der Pharmalobby zu setzen.